Ein Mann ist gestorben, und ich muss immer noch an ihn denken. Der Mann war Schriftsteller, und er hieß Gerhard Jäger.
2016 hat er mich mit seinem Roman Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod rausgerissen, das kann man nur so sagen. Ich war ein riesiger Fan – und hab mich umso mehr gefreut, als Gerhard mich im Oktober 2018 kontaktiert hat, um mir zu berichten, dass er mein dunkelgrünes Buch gelesen hat. Ich war gerade im Zug, unterwegs zu einer Lesung in Graz, und im Gepäck hatte ich, wie der Zufall es wollte, seinen neuen Roman.
Zu dem Zeitpunkt standen wir beide auf der Longlist für den Österreichischen Buchpreis. Einer von uns kam weiter auf die Shortlist – nämlich er – und ein anderer – nämlich ich – las dieses nominierte Buch, All die Nacht über uns. Ich saß in Graz beim Frühstück im Hotel und fing unvermittelt und beobachtet von verwunderten Gästen an zu weinen. Das ist es, was dieser Roman mit mir gemacht hat: Ich habe mitgelitten.
Du gehst aber nicht gerade zimperlich mit deinem Soldaten um, habe ich Gerhard geschrieben, im Wortlaut: „Dem hast du aber ordentlich zugesetzt, deinem Soldaten, den hast du ja komplett zerlegt.“ Und er hat geantwortet: „Ist das nicht das Schicksal eines Schriftstellers? Man erfindet eine Person und tut ihr all das an, was man selber nie erleben möchte …“ Viele Mails sind geflogen zwischen Gerhard und mir, er hat von seinem neuen Manuskript erzählt und ich ihm von meinem und wir hatten vereinbart, demnächst einen Tausch zu machen.
Jetzt ist Gerhard weg, und ich bin noch da. Dieser Gedanke beschäftigt mich. Vor allem auch, weil ich ihm nicht mehr sagen hab können, wie gut sein Buch ist, weil er nicht mehr lesen hat können, was ich über seinen Roman geschrieben hab. Meine Rezension dazu kam zu spät – und wie hätte ich das ahnen können? Als ich erfahren habe, dass er überraschend gestorben ist, hat mich das tief getroffen.
Ich hab ihn nur ein bisschen gekannt und nicht einmal persönlich, aber dieser kleine Einblick hat ausgereicht, um mit Überzeugung sagen zu können: Er war ein wunderbarer Mensch, und dieser Verlust ist ein großer. Nicht zuletzt für die Literatur, der seine einzigartige Stimme fehlen wird, sondern vor allem für seine Familie. Er war lustig und selbstironisch, sehr wortgewandt und ungemein sympathisch.
Vielen Dank, Gerhard, dass du mich teilhaben hast lassen, dass du mich zum Lachen gebracht und mir Mut gemacht hast. Ich wollte noch so viel mit dir besprechen, noch so viel von dir lesen.
Mareike Fallwickl ist Texterin und Autorin. Mail: interaktiv@svh.at