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Eine Stadt in Bewegung

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Wenn Steine sprechen, Clowns raufen, Omas Shakespeare lernen, Ulysses durch Salzburg zieht und viel getanzt wird, dann ist „Sommerszene“-Zeit.

Längst geht die Szene Salzburg mit ihrem Performance-Festival „Sommerszene“ weit über den Tanz hinaus und in den Stadtraum hinein. Heuer findet in letzterem ein Mammutprojekt statt. Das Salzburger Netzwerk ohnetitel hat sich James Joyces Dublin-Roman „Ulysses“ vorgeknöpft und gestaltet nach dessen Konstruktionsplänen ein Porträt der Stadt in 24 Episoden. „Wir gehen wie Joyce in die Eingeweide. Uns interessieren nicht die spektakulären, sondern die schönen, poetischen Orte, anhand derer man Salzburg in einem Tagesablauf kennenlernen kann, mitsamt den Menschen, die hier arbeiten“, verraten Arthur Zgubic und Dorit Ehlers über ihr Projekt „Die Späte der Stunde“. An zwei Mal sechs Festivaltagen durchmessen sie täglich vier Orte, in Summe ergibt das 24 Stunden.

Marco Döttlinger präsentiert die Klanginstallation „Euch sprechen die Steine im Neutor. Bild: Bernhard Müller

Rund um die Uhr bespielt Komponist Marco Döttlinger mit seiner Klanginstallation das Neutor und testet es somit auf seine performative Qualität. Dazu ließ er im Vorfeld seine Komposition von einem Kontrabassisten im Neutor spielen. „Die Musik wird so lange aufgenommen und eingespielt, also eine akustische Verdichtung geschaffen, bis der Raum in Eigenresonanzen schwingt“, erklärt Marco Döttlinger. Inspiriert habe ihn zu seinem Werk mit dem Titel „Euch sprechen die Steine“ die Inschrift „Te saxa loquuntur“ über dem Ostportal des Tunnels, verrät er.

Am Bahnhofsvorplatz gestaltet Ingri Fiksdal mit „Diorama Salzburg. Die Stadtversion“ eine ständig sich fortbewegende Skulptur aus Körpern und Objekten. Auf diese Weise thematisiert die Norwegerin das Vergehen der Zeit und die langsame Veränderung von Landschaft.

Auftakt mit Live-Drums und starken Bildern

Der Großteil der insgesamt 14 Stücke findet aber nicht draußen, sondern in den Sälen der Szene und der ARGEkultur statt. So auch die Eröffnungsproduktion „Rule of Three“ des belgischen Choreographen Jan Martens, der sein Salzburg-Debüt gibt. „Es geht in dem Stück um die Schnelllebigkeit der Zeit und unseren Umgang mit Sozialen Netzwerken“, erklärt Szene-Intendantin Angela Glechner. Und ergänzt: „Es ist ein Stück mit extremen Brüchen. Martens reizt aus, was ein Körper kann. Dazu kommt er mit einem Live-Drummer und einem Cast exzellenter Tänzer.“

Seine Salzburg-Premiere feiert auch das britische Performancekollektiv Forced Entertainment, das seit 25 Jahren aktiv ist und sich längst den Ruf einer legendären Formation erarbeitet hat. In ihrem aktuellen Stück „Out of Order“ versucht eine sechsköpfige Truppe von Clowns, die Zeit totzuschlagen. Immer wieder versucht einer auszubrechen – und wird von den anderen daran gehindert.

Forced Entertainment zeigt „Out of Order“. Bild: Hugo Glendinning

Vom (körperlichen) Scheitern erzählt auch die Münchner Choreografin Anna Konjetzky. In ihrem Werk „The Very Moment“ stellt sie den zerbrechlichen, ineffizienten und stürzenden Körper in den Mittelpunkt. „Das Stück ist sehr politisch. Der Kontrollverlust über den eigenen Körper ist gleichzusetzen mit dem Verlust der Autonomie“, erklärt ARGEleiter Sebastian Linz, der die Koproduktion von Argekultur und Münchner Kammerspielen nach Salzburg holte. In einem Workshop kann sich das Publikum auch selbst im Stürzen üben.

Humorvolles steuert der Belgier Louis Vanhaverbeke mit „Multiverse“ bei, indem er Alltagsgegenstände zu Klangmaschinen umfunktioniert und so sein ganz persönliches Plädoyer gegen die Wegwerfgesellschaft gestaltet.

Hubert Lepka/Lawine Torrèn bringt „Herde und Stall“ zur Uraufführung. Bild: Bernhard Müller

Die Beziehung Mensch – Natur lotet der Salzburger Choreograf Hubert Lepka mit seinem Netzwerk Lawine Torrèn aus, indem er eine Herde aus Ziegen, Kitzen, Kälbern, Hühnern sowie Tänzern und Schauspielern bildet. „Wie sind wir in der Lage, gesellschaftliches Zusammenleben zu organisieren? Wo kommen die Regeln her in einer Zeit, in der biblische Normen nicht mehr gelten?“, fragt Lepka und hat auch gleich die Antwort: „Es gibt keine Lösung. Die Produktion dreht sich gewissermaßen im Kreis.“ Die Proben zu „Herde und Stall“ finden passend zur tierischen Komponente des Stücks bei der Pferdeschwemme statt, bevor man zur Uraufführung in den Theatersaal der Szene wechselt.

Die großen, zwischenmenschlichen Herausforderungen hat Shakespeare in seinen Stücken meisterhaft verhandelt. Fasziniert von der Macht der Worte lernte der portugiesische Regisseur Tiago Rodrigues mit seiner blinden Großmutter Shakespeares Sonette auswendig. In Salzburg sind anstelle der Oma zehn Freiwillige gefordert, auf der Bühne ein Shakespeare-Sonett „By heart“ zu erlernen.

In Foyer und Studio der Szene finden zwei Produktionen bei freiem Eintritt statt: Die Wiener Künstlerin Andrea Mauer gestaltet Kurzlesungen, für die sie Programmtexte des Festivals verarbeitet. Und der Niederländer Frans Poelstra spürt in Solo-Improvisationen nicht weniger als der großen Frage des Warum nach. Michikazu Matsune, schon Stammgast bei der Szene, und der polnische Regisseur Cezary Tomaszewski, der eine Persiflage auf Heimatliebe und Patriotismus inszeniert, komplettieren den Festivalreigen. Dieser wird wieder von einem Begleitprogramm umrahmt. Neu ist dabei der „Stammtisch“, bei dem man sich an vier Abenden mit jeweils zwei Künstlern des Festivals austauschen kann.

Infos & Fakten

  • 17. bis 29. Juni: Sommerszene Salzburg
  • 14 Produktionen aus neun Ländern
  • 5 Uraufführungen, 4 Österreich-Premieren
  • Programm und Print@Home-Tickets auf: szene-salzburg.net
  • Vorverkauf: Kartenbüro der Szene Salzburg, Anton-Neumayr–Platz 2, 5020 Salzburg, Tel. 0662-843448, info@szene-salzburg.net

Von Petra Suchanek

Hauptbild: Jan Martens „Rule of Three“ eröffnet das Festival am 17. Juni. Bild: Phile Deprez 

Dieser Artikel ist im Hochglanz-Magazin „Kulturfenster Juni“ erschienen. Dieses liegt in allen Kulturstätten Salzburgs zur freien Entnahme auf und ist auch über die SN-App zu lesen.


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